Magazin #4: Mit der Tunnelbohrmaschine in den Kaninchenbau
Bei DANCE zeigt der Münchner Choreograf Moritz Ostruschnjak die Uraufführung seines Stücks Rabbit Hole. Im Interview erzählt er, wie das politische Klima seine Arbeiten zunehmend beeinflusst. Und warum Nachrichten für ihn fast wichtiger als Tanzvideos sind.
Interview: Rita Argauer
Ihr jüngstes Stück Terminal Beach wirkte wie ein dystopisches Divertissement, davor brachten Sie mit Yester:Now ein Stück heraus, das höchst plakativ auf die gefährliche Kraft von Parolen zielte. In beiden Stücken fanden Sie einen künstlerischen Ausdruck für eine gesellschaftspolitische Lage, die sich dann später in der Realität so einstellen sollte. Fühlen Sie sich angesichts der momentanen Weltlage von der Realität eingeholt?
Ja, da habe ich mit meinem Dramaturgen auch schon viel darüber geredet, gerade bei Terminal Beach. Aber man spürt natürlich auch ein bisschen, was in der Luft liegt. Zumindest bei uns war das so. Und deshalb sind diese Arbeiten auch beide so in diese Richtung gegangen.
Welche Rolle spielt das für Ihre jetzige Arbeit, dass Sie damals dieses Gefühl, das in der Luft lag, beinahe prophetisch getroffen haben?
Das wirkt natürlich schon nach. Obwohl der politische Ausdruck der beiden letzten Arbeiten ja eher ein Zufall war. Meine ersten Arbeiten waren viel abstrakter. Aber ich habe ja immer so einen Überbau, dass es in meinen Stücken nicht nur um mich selbst oder meine Choreografien geht, sondern auch um die gesellschaftliche Lage. Das Zeitgeschehen hat immer einen großen Einfluss auf meine Arbeit. Ich beschäftige mich auch viel mit Politik. Also generell. Und das, denke ich, fließt dann auch wieder in die Arbeit ein.
Woher kommt der tänzerische Einfluss?
Ich beschäftige mich fast mehr mit Politik, mit Philosophie, mit anderen Sachen, als dass ich mir ständig Tanzvideos anschauen würde. Mich interessiert der Tanz als Ausdrucksmittel für etwas anderes. Für das Inhaltliche sozusagen. Es geht weniger um den Tanz an sich. Und wenn, dann auch wieder um die politischen Aspekte des Tanzes wie im Militarismus oder im Entertainment. Für was kann welche Bewegung hergenommen werden?
Mit welchen Inhalten haben Sie sich für Ihre Neukreation für DANCE beschäftigt? In welche Richtung wird es gehen?
Da habe ich viel darüber nachgedacht. Auch grundsätzlich. Man macht, ich sage jetzt mal, jedes Jahr oder alle zwei Jahre ein Stück. Und jedes Mal soll ich mich mit irgendetwas Neuem beschäftigen. Und ich habe festgestellt, dass das so für mich nicht funktioniert. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich versuche, immer das gleiche Stück zu machen. Aber so ein bisschen eben schon. Das Grundthema, das Grundgefühl bleibt. Und das finde ich auch ok. Wieso kann man sich nicht länger mit einem Thema beschäftigen? Und dann halt verschiede Blickwinkel auf das Thema zeigen. Bei mir hat das immer viel mit Digitalisierung und dem Zeitgeschehen, in dem wir uns gerade befinden, zu tun.
Können Sie dieses thematische Grundrauschen für Ihre aktuelle Arbeit schon konkretisieren?
Da muss ich ganz ehrlich mit mir sein: Ich habe nicht ein Thema am Anfang und dann weiß ich ganz genau wie das Stück aussehen wird. Das ist eher so ein Gefühl, etwas Vages, eine Ahnung. Zunächst habe ich viel über Räumlichkeiten nachgedacht. Das hatte dann auch mit Corona zu tun. Welche Räume sind wie möglich? Andererseits war der Grundgedanke, der mich für das Stück interessiert hat, eigentlich die Fantastik. Ich habe das Gefühl, dass wir uns immer mehr in Fantasiereiche begeben. Das hat wieder mit Digitalisierung, auch mit Künstlicher Intelligenz zu tun. Aber auch politisch: Zum Beispiel die Reichsbürger, die sich in ihrer Fantasie so ein deutsches Reich wieder zusammenbasteln. Oder Putin mit seinem alten Zarenreich. Das war so ein Gefühl, das ich hatte. Dass zunehmend eine komische Fantasy-Welt mitschwingt. Das hat auch etwas sehr Beunruhigendes.
Haben Sie eine künstlerische Entsprechung dafür gefunden?
Mich haben dann russische Sci-Fi-Autoren interessiert wie die Strugatzki-Brüder. Das finde ich sehr gut, auch gerade vor dem Hintergrund, was derzeit passiert. Wir haben vier Wochen mit den Tänzer*innen geprobt und verschiedene Ansätze ausprobiert. Und dann bin ich auf so einen Klassiker gestoßen, der für mich den Weg des Gehens klargemacht hat. Und das ist Alice in Wonderland und die Idee vom „Rabbit Hole“. Und das wird, so wie es jetzt aussieht, auch der Titel des Stücks werden.
Und was befindet sich im Rabbit Hole?
Unter dieser Überschrift hat sich für mich ganz viel zusammengezogen. Das ist ja wie ein Link, eine Verbindung zu einer anderen Welt. Wie der Hyperlink im Internet. Ein Portal. Eine Fairytale. Auch ganz visuell, dieser Kaninchenbau mit den vielen Tunneln und Gängen. Ich werde da auch wieder mit einem Videokünstler zusammenarbeiten. Im Moment arbeiten wir uns ganz viel an Tunneln ab, auch im Sinne von Ressourcen und Riesentunnelbaumaschinen. Aber auch Pipelines, brennende Pipelines. Für die Bühne werden wir dann eine rechteckige Projektionsleinwand haben und schwarzen Tanzboden.
Ist es anders, für ein Festival zu arbeiten, als wenn Sie Ihre Stücke für die freie Szene kreieren?
Kreativ ist das eigentlich ähnlich. Ich kann ja machen, was ich will, da gibt es keine Restriktionen. Nur die bekannten Raum-Restriktionen, die Münchner Raumproblematik. Dass man eigentlich immer zu wenig Zeit hat, in den Räumen zu arbeiten, in der freien Szene. Sobald Du Schritte raus aus dem schwere reiter machen willst, wird es schwierig. Da gibt es wenige Räume in München, die mehr Probenzeit geben.
Als wir uns vor fast zehn Jahren das erste Mal unterhalten haben, haben Sie gesagt, dass Sie nach München gezogen sind, weil Sie hier das Gefühl hatten, in der freien Szene ist noch genug Platz für einen weiteren Choreografen, der hier arbeitet. Wie nehmen Sie die Münchner Szene heute wahr?
Ich finde, es passieren eigentlich sehr viele interessante Sachen in der Szene, das hat gerade eine gute Dynamik. An vielen verschiedenen Ecken gibt es verschiedene Choreograf*innen, die auch sehr unterschiedlich arbeiten. Das ist sehr positiv. Von der kulturpolitischen Perspektive aus sehe ich die Stadt gerade eher kritisch.
Warum?
Es geht von Seiten der Politik immer nur Minischritte nach vorn. SIe ist einfach nicht mutig genug. Mir fehlt so ein bisschen der Sinn für das Visionäre in der Stadt. Man hat das Gefühl, keiner traut sich was.
Meinen Sie damit auch die Pläne für ein Tanzhaus in München?
Ja. Das wäre halt auch ein Statement für so eine Stadt wie München. Kulturpolitisch zu sagen: Wir gehen jetzt mal voraus und machen das Tanzhaus des 22. Jahrhunderts. Dass man so eine Vision einfach mal verwirklicht. Aber mit den Hallen im Kreativquartier, das sind ja Pläne von vor einer Ewigkeit. Und heraus kommt dann in München auch immer ein Gemischtwarenladen, der alle glücklich machen soll, aber letztlich keinen glücklich macht. Das finde ich entmutigend in so einer Stadt. Da kann man ja auch mal nach Zürich gucken, eine Stadt, die ähnlich wohlhabend ist. Da sind ganz andere Sachen möglich.