Catherine Gaudet
The Pretty Things
Ganz klein fängt es an, mit minimalen Gesten und kurzen Bewegungsmotiven, die sich in unerbittlicher Sanftheit wiederholen und beinahe unmerklich in das nächste Motiv shiften. Fünf Tänzer*innen performen ein Alphabet, dessen Bestandteile in einem undurchsichtigen System durch jeden Körper wie eine Art Selbstgespräch ausbuchstabiert werden. Obwohl die Bewegungen von ihnen ausgehen, scheinen sie gleichzeitig darin gefangen – etwas Zwanghaftes, Neurotisches liegt in der Dringlichkeit der Ausführung. Darin eingerahmt sind kurze Momente wilden Ausbruchs in eine andere, befreitere Körpersprache, einen anderen Tanz, der nach und nach das Material transformiert, ausflippt, und sich letztlich auch aus der Musik befreit. Eine Musik, die Rhythmus ist: zarte, synthetisch verarbeitete Frauenstimmen, die Schläge hauchen, also wie ein Metronom funktionieren, und dabei einen starken Rahmen, ein musikalisch reguliertes Regime zugrunde legen. Ist es Verzweiflung, die wir da spüren im sportlich-gymnastischen Ausdauertanz, oder Ekstase? Meditation oder Revolte?
Mit The Pretty Things zeigt Catherine Gaudet eine hypnotische Arbeit, deren Verlauf sie selbst als kathartisch beschreibt. Die frankokanadische Choreografin, die seit beinahe 20 Jahren eigene Arbeiten kreiert, 2019 ihre eigene Kompanie gründete und im letzten Jahr mit dem Grand Prix de la danse de Montréal ausgezeichnet wurde, spricht eine absolut entwaffnende choreografische Sprache: Ihre Stücke sind von einer ehrlichen, schonungslosen Körperlichkeit, die tief in die Psyche und die Seele des Menschen blicken lässt. Ausgangspunkt der Choreografie war die Beschäftigung mit Verbindung und Resonanz, die sie im Studio mit ihren Tänzer*innen noch während der Covid-19-Restriktionen neu definieren musste. Aber auch die Kehrseite von Verbindung, nämlich die Idee von Loslösung und Befreiung ist stark zu spüren. So ist The Pretty Things ein Stück über Gemeinschaft geworden und gleichzeitig eine kritisch prüfende Positionierung gegenüber den Idealen sozialer Koexistenz.
The Pretty Things bildet bei DANCE 2023 gemeinsam mit der Europapremiere « M » von Marie Chouinard und Make Banana Cry von Andrew Tay und Stephen Thompson den Fokus Montreal.
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