Ceren Oran (Digitale Uraufführung)
The Urge
Als sich die anfängliche Schockstarre im ersten Lockdown im März 2020 löste, verlagerten sich die Bühnen ins Netz. Der Drang (auf Englisch "urge") zu tanzen und sichtbar zu bleiben, fand ein Ventil in den sozialen Medien. Menschen tanzten in ihrem privaten Umfeld: Moves zwischen Bett und Schrank, eine klassische Variation vor Küchenzeile, Release auf dem Balkon. Solistisch. Pandemisch. Hochgeladen in den sozialen Medien. Die Münchner Choreografin Ceren Oran entwickelt aus solchen Funden ihr neuestes Projekt The Urge: Das Bewegungsmaterial aus dem Netz übersetzt sie für ein Kollektiv und in den öffentlichen Raum. Getanzt wird simultan in München, Berlin und Köln, und es wird live gestreamt.
Bei DANCE 2019 bespielte Ceren Oran öffentliche Plätze in der Stadt mit ihrer Langzeit-Performance Who is Frau Troffea. Die erfolgreiche Site-specific-Performance war von der "Tanzwut" inspiriert, die 1518 in Straßburger Straßen grassierte und immer mehr Menschen infiziert haben soll. Die Nähe zu und beiläufige Begegnung mit unterschiedlichen Zuschauer*innen faszinierten Oran ebenso wie die Herausforderungen, die Wind, Wetter und Asphalt über sieben lange Stunden den Künstler*innen täglich bescherten. Auch für The Urge untersucht die in München arbeitende Choreografin Dynamiken und Austauschverhältnisse von kollektiver und individueller Bewegung, die – wie wir alle erfahren haben – durch die Covid-19-Situation in den vergangenen Monaten unterdrückt wurden. Dem Drang, endlich wieder Raum zu nehmen, Plätze zu besetzen, unbeschränkt Zeit im öffentlichen Raum zu verbringen, verleiht Ceren Oran choreografische Gestalt. Musikalisch begleitet wird sie von ihrem langjährigen künstlerischen Partner Huseyin Evirgen, dessen elektronische Komposition die rhythmische Grundstruktur für The Urge liefert, sowie einem Live-Solo-Musiker, der zu jeder Aufführung eingeladen wird.
Mit Genehmigung der Autor*innen transponiert Ceren Oran die Bewegungssequenzen aus den sozialen Medien in den öffentlichen Raum und in eine zeitliche Dauer, die wesentlich länger ist als der originale Clip. Zugleich speist sie das transformierte Material per Live-Streaming simultan wieder zurück ins Netz. Um das zu ermöglichen, arbeitet Ceren Oran mit ihren Kolleginnen Rotem Weismann in Berlin und Maayan Reiter in Köln zusammen. In allen drei Städten werden die Performances zeitgleich stattfinden, (Stadt-)Grenzen überwindend – auch um die Globalität der Pandemie zu betonen: We Are All In This Together.