Magazin #8: „Wie ein Wiedersehen mit alten Freunden“
Richard Siegal über DANCE und den kleinen Unterschied, der alles verändert
Interview: Yvonne von Duehren
Richard, Du bist seit vielen Jahren mit Deinen Werken beim DANCE Festival München zu Gast, erstmals 2010 mit der Produktion CoPirates, 2012 kam Black Swan. In München liegen auch Deine Wurzeln, hier wurde das Ballet of Difference (Bod) gegründet. Was ist Dir bei DANCE in besonderer Erinnerung geblieben? Wie erlebst Du die Vorstellungen in München?
Ich betrachte München als eine meiner wichtigsten künstlerischen „Heimaten“. Meine langjährige Beziehung zum DANCE Festival München spielt dabei eine große Rolle. Ich erinnere mich zum Beispiel noch, wie ich als Tänzer und Co-Autor zusammen mit Frank Edmond Yao für ein junges Publikum performte, in dem kleinen Format Logobi 5 von Gintersdorfer/Klaßen – das war bei DANCE 2012. 2015 dann Portrait (in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsballett) und im selben Festival gab ich eine Lecture Performance im Symposium von Katja Schneider. Die Uraufführung von BoD kam 2017 mit dem Abend MY GENERATION, 2019 ROUGHHOUSE (in Zusammenarbeit mit Schauspiel Köln). 2021 dann die beiden digitalen Formate, ALL FOR ONE AND ONE FOR THE MONEY und der Film NEW OCEAN SEA CYCLE in der Pinakothek der Moderne. Ich spüre so viel Geschichte mit der Stadt und der Öffentlichkeit, ihren Persönlichkeiten und Veranstaltungsorten. Dort aufzutreten ist wie ein Wiedersehen mit alten Freunden.
In dieser Festivalausgabe sehen wir wieder zwei Deiner Produktionen – TRIPLE und XERROX VOL. 2. Was macht die beiden Abende aus – was unterscheidet sie?
TRIPLE verkörpert in gewisser Weise die künstlerische und soziale Mission von BoD. Es stellt die Konventionen des klassischen Balletts zwar in Frage, hält aber durchaus an dessen Schönheit und Faszination fest. Es verschmilzt unsere 400-jährige Kulturtradition mit ausgesprochen zeitgenössischen Begriffen wie Diversität, Queerness, Subkulturen, Mode, Technologie, kurz gesagt, der Politik des Anderen. Dabei gelingt es dem Werk, sich für Fortschritt und eine Erweiterung des Moralbegriffs einzusetzen – allerdings nicht aus einer defensiven Haltung heraus, sondern durch freudige, ja athletische Bejahung der Kraft der Innovation in Verbindung mit Althergebrachtem.
XERROX VOL. 2 fußt auf meiner langjährigen Bewunderung für die Musik von Alva Noto und unserer mehrfachen künstlerischen Zusammenarbeit. Der Abend war für uns als Kompanie Anlass, die Ballett-Komponente des Ballet of Difference einmal gründlich unter die Lupe zu nehmen. Wir haben uns unangenehme Fragen darüber gestellt, wie kulturelle Werte in ihrer Form kodiert sind und ob sie von der Technik getrennt werden können (oder sollten). Das Ergebnis ist ein üppiger, gelegentlich auch verspielter Mix aus klassischem Ballett und zeitgenössischer Ästhetik.
Zeitgenössischer Tanz hat so viele Facetten – bei Dir sehen wir höchst virtuosen Tanz, in anderen Performances findet eher wenig Bewegung statt – wo siehst Du den Kern des zeitgenössischen Tanzes?
Das ist eine interessante Frage. Ich möchte meinen, dass es in der Natur des zeitgenössischen Tanzes liegt, sich einer Definition zu entziehen. Gerade das Unruhige, Widerspenstige macht zeitgenössischen Tanz ja so vital, so vielfältig und so schwer zu fassen. Sehr wohl feststellen kann man allerdings, dass der Körper sozusagen der „gemeinsame Nenner“ im zeitgenössischen Tanz ist. Der Körper in all seinen Varianten, vielfältigen Erfahrungen und seinem ganz eigenen Kontakt mit einer reichhaltigen Ideenwelt.
Klassisches Balletttraining ist geprägt durch Normen, Regeln, Korrekturen – Gibt es für Dich auf der Bühne ein Richtig oder Falsch?
Ich bin sehr dafür, dass die Aufführung eine Erweiterung des kreativen Prozesses ist. Auf diese Weise ist das einzige „Falsch“, das ich mir wirklich vorstellen kann, kein Interesse zu zeigen, die Aufführung als selbstverständlich zu betrachten und sie nicht als Mittel zu nutzen, besser zu verstehen, was wir zeigen wollen.
Was steht am Anfang Deiner Choreografien? Ein Thema, das Dich beschäftigt, eine Musik, die Dich inspiriert? Ein Kostüm, ein Bühnenbild, in dem Du Tanz präsentieren möchtest?
Ausgangspunkt ist meistens das Stück, das ich zuletzt choreografiert habe. Ich habe dies während meiner gesamten Karriere als Oppositionsstrategie verwendet. Bisher ist es gut so.
Wie sieht die Zukunft des klassischen Balletts aus, wo siehst Du das Ballett des 22. Jahrhunderts?
So wie jetzt, nur ein bisschen anders. Und dieser Unterschied verändert alles.